Nachrichten aus Absurdistan – 1

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 viele von uns mussten wahrscheinlich auch schon absurde und unerfreuliche Erfahrungen mit dem Ministerium und den Landesbehörden machen. Wer erinnert sich nicht an nicht nachvollziehbare und nicht begründete Kürzungen und Schikanen bei der Abrechnung von Dienstreisen, an nicht bezahlte Mehrarbeit, an ausbleibende Unterstützung bei Auseinandersetzungen, die dienstliche Belange betrafen, an angezweifelte ärztliche Atteste oder an Versprechungen, die von Vorgesetzten vollmundig verkündigt wurden, aber dann nie eingelöst wurden, usw. Solche Fälle sagen viel darüber aus, wie wir Lehrer:innen und Beschäftige im Bildungsbereich des Landes Schleswig-Holstein vom Bildungsministerium und anderen Landesbehörden eingeschätzt und behandelt werden.

Erfahrungen zeigen z.B., dass häufig die Rückerstattung von Ausgaben der Kolleg:innen, die dienstlich veranlasst waren, abgeblockt wird. Wir können belegen, dass mit wirklich beeindruckendem personellen Aufwand die Zahlung selbst kleinster Summen in Frage gestellt wird. So muss man den Eindruck gewinnen, dass es bestimmten Behörden des Landes Schleswig-Holstein weniger um gesunde Finanzen als um Machtdemonstrationen gegenüber den Landesbeschäftigten geht.

Wir werden an dieser Stelle in der Zukunft unter der Rubrik Nachrichten aus Absurdistan solche Fälle aus dem Kreis Segeberg öffentlich machen. Es handelt sich ausdrücklich nicht um konstruierte Abläufe, sondern um reale Fälle, die wir geprüft haben und auch belegen können. Um die betroffenen Kolleg:innen zu schützen, haben wir uns aber dafür entschieden, deren Namen und Beschäftigungsort zu verändern bzw. nicht zu nennen. Dass uns dies notwendig erscheint, sagt ebenso viel über die Atmosphäre in Schleswig-Holstein und über unsere Arbeitgeber:in aus.

 Wenn Ihr uns und den Kolleg:innen ähnliche Erlebnisse mit der Landesbürokratie schildern wollt, sendet uns bitte einen kurzen Bericht, nach Möglichkeit auch Kopien von Bescheiden und weitere Belege zu. Wir garantieren euch die Anonymisierung, wenn wir darüber berichten.

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Unser Fall 1:

 Wer hilft, ist selber schuld und zahlt drauf!

 Was passiert eigentlich, wenn ein Kollege auf dringende Bitte seiner Schulleiterin und des Schulamtes seine persönlichen Interessen und private Planung zugunsten schulischer, dienstlicher Erfordernisse nach hinten stellt? Eine Belobigung oder ein Dankschreiben aus dem Ministerium? Nein, zum Dank erhält er eine Aufforderung, mehr als 1600 Euro in die Landeskasse einzubezahlen!

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 Der Bericht des Kollegen:

 >> Ich hatte Elternzeit für den ersten und dritten. Lebensmonat meiner Tochter Rieke beantragt und bewilligt bekommen (26.02.2020 geboren). Auf dringende Bitte meiner Schulleitung und in Absprache mit dem Schulamt SE habe ich die für den dritten Lebensmonat vorgesehene Elternzeit auf den Zeitraum vom 18.05.2020 bis zum 17.06.2020 verschoben. Der Grund für die schulische Dringlichkeit lag darin, dass zu diesem Zeitpunkt die Situation der Risikogruppen bzgl. COVID-19 noch unklar war und deshalb die ein größerer Teil der Kolleginnen und Kollegen, die dieser Gruppe angehören, zunächst krankgeschrieben waren oder im Homeoffice arbeiteten. Für die Durchführung der in Präsenz stattfindenden Abschlussvorbereitungen und Abschlussarbeiten entstand dadurch ein problematischer Mangel an Mathematiklehrkräften. Da ich selbst auch Mathematik unterrichte, wurde ich von meiner Schulleitung gebeten, meine Elternzeit zu verlegen, um einen ordnungsgemäßen Verlauf der anstehenden Prüfungen gewährleisten zu können. Ich habe in gutem Glauben zugesagt und mir zu diesem Zeitpunkt ehrlich gesagt niemals vorstellen können, dass mir aus dieser Entscheidung ein Nachteil erwachsen könnte. Ich hatte ja den Beginn meine Elternzeit nur etwas verschoben. Mein Verdienstausfall blieb also bezogen auf die Dauer meiner Elternzeit gleich. Auf mögliche finanzielle Folgen meiner Bereitschaft der Schule zu helfen, hatten mich keine meiner Dienstvorgesetzten aufmerksam gemacht.

 Umso größer war der Schreck, als mir dann ein Rückzahlungsbescheid über 1605 Euro zugeschickt wurde, mit der Begründung, dass mir das Elterngeld nur für die ursprünglich beantragten, ganzen ersten und dritten Kalenderlebensmonate unserer Rieke (also März und Mai) gezahlt würde. Ich hätte aber durch die Verschiebung meiner Elternzeit auf die vier Wochen von Mitte Mai bis Mitte Juni keinen Anspruch auf Elterngeld und müsse deshalb das bereits bezahlte Elterngeld zurückerstatten.

 Erst nach langen, sehr schwierigen und teilweise unerfreulichen Telefonaten mit dem Landesamt für soziale Dienste habe ich erreicht, dass der Rückzahlungsbescheid auf 879,68 Euro verringert wurde. Zumindest ein kleiner Erfolg! Man folgte meiner Argumentation, dass es ja wohl das Mindeste sei, den Monat anteilig zu berücksichtigen, in dem unsere Familie den größten Verdienstausfall hatte.

 Gegen den nun neu vorliegenden Bescheid habe ich natürlich Widerspruch eingelegt und diesem ein Schreiben meiner Schulleitung beigefügt, in dem die Gründe der Verschiebung der Elternzeit erläutert wurden. Mein Widerspruch wurde jedoch vom Landesamt für soziale Dienste abgelehnt. Das Amt besteht weiterhin darauf, dass ich 879,68 Euro „unrechtmäßig in Anspruch genommenes Elterngeld“ zurückzahle. <<

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 Die GEW-Rechtsschutzstelle in Kiel und der DGB Rechtsschutz in Lübeck haben sich mit der Angelegenheit befasst. Das Sozialgericht wollte allerdings aufgrund der Gesetzeslage keine Möglichkeit sehen, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Letztendlich wird unser Kollege gezwungen sein, 879,68 Euro an das Landesamt für soziale Dienste zu bezahlen. Eine verdammt hohe Summe für eine junge Familie! Keine seiner Vorgesetzt:innen fühlt sich für diese Fall verantwortlich: weder die Schulleiterin, noch die Schulräte, das Bildungsministerium und auch nicht der Schulträger. Die GEW-Rechtsschutzstelle bleibt dennoch „dran“.

 Unser vorläufiges Fazit könnte lauten: „Selber schuld“? Warum hilft der Kollege auch in einer Notlage seiner Schule und stellt seine persönliche Planung hinten an? Klar ist jedoch: beim nächsten Mal wird er es besser wissen! … und die Kolleg:innen an den Schulen und Kitas auch. Wer hilft, zahlt in diesem Land unter Umständen drauf!

GerdCL

GEW KV Segeberg

Juni 10th, 2021 by